Diskussionsrunde zum Thema TTIP
Das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) war am 8. April Gesprächsthema bei einer Diskussionsrunde der SPD Hattingen. Mehrere Referenten lieferten dazu Gesprächsstoff, unter anderem auch unser Europaabgeordneter Dietmar Köster.
TTIP – die Ruhe vor oder nach dem Sturm?
Unter diesem Motto stand die Diskussionsrunde am Freitagabend im Sportpark Ruhrtal. Der Einladung dazu waren rund dreißig Personen gefolgt, allesamt mit ordentlich Gesprächsbedarf zu besagtem Freihandelsabkommen.
Unser Stadtverbandsvorsitzender Klaus Orth begrüßte zu Beginn recht herzlich alle Anwesenden sowie die drei eingeladenen Referenten. Ein Schwerpunkt der heutigen Veranstaltung sei die Information und zusammen wolle man nach Möglichkeit „alle Gesichtspunkte des Freihandelsabkommens heute beleuchten“.
Auch unser Genosse Udo Woidneck begrüßte als Moderator der Veranstaltung alle Interessenten und dankte Sabine Kelm-Schmidt, Dr. Hans-Peter Merz und Prof. Dr. Dietmar Köster für ihr Erscheinen. Anschließend übergab er Köster als erstem Referenten das Wort.
Köster: „Freihandelsabkommen nur vermeintlich weit weg“
Unser Europaabgeordneter Dietmar Köster ging in seinen Ausführungen ausgiebig auf unterschiedliche Freihandelsabkommen ein – es gäbe ja beileibe nicht nur TTIP, großes Gesprächsthema sei aktuell auch die Debatte um CETA (ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada). Eins sei klar: diese Abkommen hätten bei Inkrafttreten durchaus „unmittelbare Auswirkungen auf die Kommunalpolitik“. Zwar gebe es auf juristischer Ebene unterschiedliche Auffassungen darüber, inwiefern Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge der Kommunen von diesen Freihandelsabkommen berührt seien, doch natürlich bestehe die konkrete Sorge, dass „ein allgemeiner Liberalisierungszwang letztlich auch die kommunale Handlungsfähigkeit beeinträchtigt“.
„Es kann sein, dass Konzerne in der Tat Staaten verklagen können, weil Sie sich durch deren Gesetze benachteiligt fühlen und dann ihren Schaden vor Gerichten einzuklagen versuchen“, so Köster weiter – als ein „gutes Beispiel“ dafür führte er das NAFTA-Abkommen zwischen der USA und Mexiko an.
Mexiko hatte im Jahre 2001 alle Produkte aus den USA, in denen der Zuckersirup Isoglucose (flüssiger Industriezucker) enthalten war, mit einer Strafsteuer von 20 Prozent belegt. Dies geschah auch vor dem Hintergrund stark zunehmender Fettleibigkeit unter mexikanischen Kleinkindern. Daraufhin verklagte der US-Konzern „Corn Products International“ den Staat Mexiko auf 325 Millionen Dollar Entschädigung. Nach der Entscheidung eines Schiedsgerichtes musste Mexiko die Steuer aufheben und 58 Millionen Dollar Strafe zahlen.
Positiv- statt Negativlisten
Er sei durchaus für Freihandel, so Köster, aber solche Konstrukte wie etwa Schiedsgerichte stellten für ihn „eine Paralleljustiz“ dar, die überhaupt nicht zu rechtfertigen sei. Diese würden einseitig das ohnehin schon ungleiche Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmern und Konzernen verschieben, denn gewöhnliche Arbeiter hätten dort nicht die Möglichkeit, ihre Rechte einzuklagen. Leider sei es auch in den vergangenen Jahren „nicht gelungen, Europa als eine soziale Union weiterzuentwickeln“.
Sinnvoll erscheine es ihm, wenn man sich konkret mit sogenannten „Positivlisten“ auseinandersetzen würde – eine Zusammenfassung von (technischen) Hemmnissen, etwa bei der Zertifizierung von Produkten oder der Normierung von gewissen Geräten. Hier könne man wirklich daran ansetzen, Doppelstrukturen und dergleichen beim Handel abzubauen – aber das sei bei einem umfassenden Abkommen wie etwa CETA gar nicht der Ansatzpunkt. Hier sei hingegen das Gegenteil der Fall – nur was explizit rausverhandelt würde, sei letztlich nicht Teil des Abkommens!
Hier stellte Köster klar: „Wenn das Prinzip der Positivlisten nicht realisiert wird, werde ich als Europaabgeordneter gegen das CETA-Abkommen stimmen!“.
Merz: „Kein Land wird so profitieren wie Deutschland“
Dr. Hans-Peter Merz, Beschäftigter bei der IHK Bochum, führte für die Anwesenden zunächst einmal aus, wozu Freihandelsabkommen überhaupt existieren und was ihnen für eine Bedeutung zukomme. Hier ginge es etwa um den Abbau von Zöllen und Einfuhrverboten, Normen, Zertifizierungen und den gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Aufträgen.
Da ein Bestreben um ein weltweit einheitliches Handelsabkommen (Doha-Runde) gescheitert sei, existierten heute „etwa 500 bi- und multilaterale Abkommen mit jeweils eigenen Regeln“ zwischen Staaten/Staatenverbünden, so Merz. Die in der öffentlichen Diskussion um TTIP immer wieder aufgeführten Schiedsgerichte zum Investorenschutz nahm er in Schutz. Gerade bei sehr technischen Fragen ginge, „sei man unter Umständen bei einem Amtsgericht Bochum nicht sonderlich gut aufgehoben.“. Alleine Deutschland unterhalte mit 130 Staaten Investitionsschutzverträge, um Unternehmer vor Enteignung oder politischer Willkür abzusichern.
Auch teile er nicht die Auffassung, dass ein Konzern damit „einen Staat wie die Bundesrepublik erpressen“ könne. In den Entwürfen zum Abkommen sei eindeutig festgelegt, dass jede Verhandlungsseite auch künftig souverän Regelungen zu Gesundheits-, Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutz festlegen dürfe – somit sei auch der Sorge vor Chlorhühnchen oder Genmais die Grundlage entzogen.
Vornehmlich, so Merz, sehe er für Deutschland große Chancen bei diesem Abkommen – gerade in Hinblick auf den jetzt schon „irrsinnigen Warenaustausch“ zwischen der BRD und den USA. „Kein Staat wird so stark profitieren wie Deutschland – aber hier gibt es die größte Ablehnung“. In anderen Ländern stehe das Abkommen nicht einer solchen „pauschalen Ablehungsfront“ gegenüber.
Kelm-Schmidt: „Steckerfragen sind unstrittig“
Als Mitglied des SPD-Parteikonvents sprach Sabine Kelm-Schmidt über die dortige Diskussion zum Thema Freihandel. Der freie Handel selbst sei dabei nicht das Streitthema gewesen, wohl aber die Transparenz des gesamten Verfahrens. An Herrn Merz gewandt merkte Kelm-Schmidt an, dass die Parlamentarier am Ende halt nur noch mit „Ja oder Nein“ über ein ausverhandeltes Papier abstimmen würden – insgesamt sei das viel zu wenig. Sie nahm weiterhin Bezug auf die möglichen Freihandels-Vorzüge von einheitlichen Normierungen und stellte fest: „Steckerfragen (Stromstecker, Anm. d. Red.) sind unstrittig. Bei Schiedsgerichten sehe ich das allerdings anders.“
Für gemischte Abkommen braucht es nationale Parlamente
CETA könne etwa schon dann vorläufig in Kraft treten, wenn der Europäische Rat dem zustimme. Hier würde dann zunächst explizit der Teil des Abkommens wirksam, der auf der Kompetenzebene der EU liege. Köster dazu: „Ein solch weitgehendes Abkommen darf nicht ohne Zustimmung der Parlamentarier über die Bühne gehen!“ Die S&D-Fraktion (Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Anm. d. Red.) erachte das Abkommen als ein „gemischtes Abkommen, bei dem auch die nationalen Parlamente abstimmen müssen.“.
Spießrutenlauf für die TTIP-Lektüre
Eindrücklich schilderte er auch seine Erfahrungen mit dem „Lesesaal“, in dem man als Parlamentarier die TTIP-Unterlagen einsehen könne. In einem 2×2 Meter großen Raum habe er die Unterlagen zu den von ihm gewünschten Themenfeldern des Abkommens begutachten können. Nach der Unterzeichnung einer zwölfseitigen Sicherheitserklärung habe er zwei Stunden für die Lektüre Zeit gehabt, sein Handy durfte er ebenfalls nicht mit in den Raum nehmen. Erschwerend komme noch dazu, dass es sich bei den Dokumententexten um „schwieriges, wirtschaftsjuristisches Englisch“ handele – doch über die Inhalte könne er sich mit keinem austauschen, ohne sich damit strafbar zu machen.
„Nachdem ich dieses Verfahren einmal durchlaufen habe, muss ich sagen: So geht es nicht!“, so Köster.
Ist Anti-Amerikanismus mit im Spiel?
Eine weitere Frage bezog sich darauf, ob man der Meinung sei, dass das große öffentliche Interesse an sowie die Ablehnung von TTIP auch Ausdruck eines Anti-Amerikanismus sei. Merz meinte dazu, diese Tendenz in gewissen Kreisen durchaus ausmachen zu können. Häufig würden „politische Sachfragen mit völlig anderen Strömungen verbunden“, ihm verschaffe es „Bauchschmerzen“, wenn er sich vorstelle, dass jedes Mitgliedsland der EU über das Abkommen abstimmen sollte.
Die Folgefrage unseres Stadtverbandsvorsitzenden Klaus Orth, ob denn eine amerikanische Firma, die sich in Hattingen ansiedle, im Falle einer etwaigen Gewerbesteuer-Erhebung auf der Grundlage dieses Abkommens gegen die Stadt klagen könne, verneinte Merz. Da die amerikanische Firma nicht anders behandelt werde als die deutsche, gebe es da keine Handhabe für eine Klage.
ILO-Kernarbeitsnormen als Menschenrechte
Köster war es nochmal ein besonderes Anliegen, auf die ILO-Kernarbeitsnormen sowie auf deren notwendige Einhaltung zu pochen. „ILO-Kernarbeitsnormen haben für mich den Charakter von Menschenrechten – das sind für mich die Kriterien, nach denen ich solche Abkommen auch bewerte.“. So seien von kanadischer Seite auch noch nicht alle dieser Normen ratifiziert, etwa die zur Festlegung eines Mindestalters.
Hinsichtlich Arbeitnehmerrechte wandte er sich an Merz und sagte: „Sie sagen, das wird von TTIP nicht berührt – ich sage, das weiß keiner genau! Ich muss aber bis auf den letzten Halbsatz wissen, was da drin steht, damit man sicher sein kann, dass es da keine Schlupflöcher gibt.“
Zum Ende seiner Ausführungen verwies Köster auf den 23. April, an dem Barack Obama und Angela Merkel bei der Hannover Messe zusammentreffen würden. Für diesen Tag sei auch eine große Demonstration dort geplant. Solche Großdemonstrationen würden den Parlamentariern auch den Rücken stärken – sie seien eben Ausdruck eines großen öffentlichen Interesses und ein deutlicher Fingerzeig, dass man sich mit dem Thema intensiv und fortlaufend beschäftigen müsse.
Abschließend bedankte sich unser Stadtverbandsvorsitzender bei allen anwesenden Gästen sowie natürlich besonders bei unseren drei Referenten. Udo Woidneck als Moderator beendete dann die Diskussion und verabschiedete die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Runde.