125 Jahre „Weitermachen!“

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Die älteste SPD-Gliederung innerhalb der Stadt Hattingen – mit 125 Jahren hat unser Ortsverein Winz-Baak schon einige Jahre auf dem Buckel. Am Sonntag gab es dann den gebührenden Festakt, bei dem alles gemütlich und vertraut vonstatten ging – bis ein Mob sich zu Wort meldete. Besser gesagt: ein Wischmopp.

Die SPD begrüßt im „Pullenklupp“

Achim Paas, neben seiner Funktion als Fraktionsvorsitzender auch Vorsitzender des Ortsvereins Winz-Baak, heißt alle Gäste in den Räumen des AWO-Treffs im Oberwinzerfeld willkommen. Eine Menge Leute sind zugegen, nicht alleine nur aus der Partei, auch aus dem Ortsteil. So etwa auch Vertreter des Rings Winz-Baaker Vereine, der am Tag zuvor noch sein alljährliches Bürgerfest abhielt.

Achim Paas hält eine Rede zum FestaktAuch Sigmar Gabriel und Hannelore Kraft sind anwesend – zumindest in der Festschrift, die auf den Tischen ausliegt. Zahlreiche Vertreter aus den Parlamenten haben aber tatsächlich vor Ort Platz genommen, etwa unser Bundestagsabgeordneter Ralf Kapschack, unser Landtagsabgeordneter Prof. Dr. Rainer Bovermann oder auch unser Landrat Olaf Schade. Mittendrin auch weitere Parteimitglieder aus nahegelegenen Ortsvereinen.

 

Heutzutage ist solch ein Treffen kein Problem mehr. Vor 125 Jahren, so Paas, habe das aber noch anders ausgesehen. Damals waren gerade erst die Bismarckschen Sozialistengesetze aufgehoben worden, aber als Sozialdemokrat hatte man stets noch die Staatsmacht im Nacken, die nur auf eine Gelegenheit lauerte. Zu jener Zeit gab es Tarnvereine, in denen man sich ebenso traf und debattierte – die sich aber etwa als Gesangsverein oder „Pullenklupp“ ausgaben.

Musik und liebe Grüße

Musikalisch wird die Gesellschaft vom Musiker Ignaz Schneider durch die Veranstaltung begleitet. Ihm und seiner Gitarre lässt sich gut lauschen – die Musik trägt in sich den Pathos, den solch eine Veranstaltung verdient. Mit genug inhaltlichen Brücken ins Heute, um nicht so zu wirken, als habe man sich gedanklich aus der Gegenwart verabschiedet.

Grußworte und zahlreiche Glückwünsche gibt es im Anschluss zu hören. So zählt exemplarisch unser Landtagsabgeordneter Bovermann einige Punkte wie etwa die aktiven Gespräche mit den Bürgern auf, die der Ortsverein Winz-Baak erfolgreich praktiziere. Oder auch die Verankerung im „Leben“ des Ortsteils. „In Zeiten von Parteienverdrossenheit und Populismus kenne ich kein besseres Rezept“, so Bovermann.

Unser Bundestagsabgeordneter Ralf Kapschack schließt seine Geburtstagsgrüße mit einem Zitat des Soziologen Herbert Marcuse – genauer gesagt seines Grabsteines. „Weitermachen!“ sei darauf geschrieben, und so gelte es auch für die SPD in Winz-Baak, mit ihrer guten Arbeit fortzufahren, so Kapschack.

Im Vorfeld der Veranstaltung hätten den Verein viele Glückwünsche erreicht, so Paas. Auch der politische Gegner hat von sich hören lassen – Grüße von der CDU Winz-Baak und der FDP.

Lebendiges Andenken an Günter Wüllner

Ebenso richtet Ursula Vesper ihre Glückwünsche aus – sie ist die Tochter von Günter Wüllner. Dieser ist einer von mehreren bedeutsamen Genossen aus dem Ortsverein, doch als Ratsmitglied über fast zwei Dekaden, stellvertretender und später sogar amtierender Bürgermeister ist es nachvollziehbar, dass dieser Person doch noch ein paar zusätzliche Worte gewidmet werden. Hier kann nachfolgend Volker Sproedt gut anknüpfen. Er ist seines Zeichens stellvertretender Vorsitzender des Rings Winz-Baaker Vereine, ein Zusammenschluss der Vereinslandschaft im Ortsteil Winz-Baak. Mitbegründer: Günter Wüllner.

Wüllner selbst konnte leider am 125. Geburtstag seines Ortsvereines nicht teilnehmen – er verstarb bereits vor fast zehn Jahren.

Festschrift plus Currywurst

Festschrift plus standesgemäße Currywurst

Es folgt eine kleine Pause für alle Beteiligten – Currywurst wird gereicht. Nunja, man muss sie sich schon abholen. Aber sie schmeckt klasse.

Sozialdemokratie – oh, du mein Ortsverein….

Auf einer solchen Veranstaltung gibt es im besten Fall immer jemanden, der weit in die Vergangenheit reisen kann, um den Weg des Geburtstagskindes bis zum heutigen Tage zu beleuchten. Bei 125 Jahren reicht aber auch die eingehende Lektüre von Büchern – Zeitzeugen sind eher rar. Der Historiker Karsten Rudolph, selber Sozialdemokrat und auf die Themenfelder „Sozial- und Politikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ spezialisiert, hält einen Vortrag über die SPD und die Rolle der Ortsvereine als Gliederung in ihr.

Karsten Rudolph spricht zur Geschichte der SPD-Ortsvereine

Karsten Rudolph: „Herz und Basis der Demokratie war immer der Ortsverein“

„Da entstand etwas, das nicht üblich war, aber dann zum Erfolgsrezept der deutschen Demokratie wurde“, so Rudolph zu den Ortsvereinen. Hier traf man sich, fand sich fix zusammen, hier diskutierte und stritt man – damals wie auch heute. Durch die gesamte Geschichte der SPD hindurch hielt sich das Konstrukt, mal besser, in der Nazi-Zeit auch mal wesentlich schlechter, doch zu dem Format fand man auch danach wieder zurück. Es hatte sich bewährt. Dafür steht ein Satz von Rudolph ganz exemplarisch:

Die Basis unserer Demokratie ist die Vereinsdemokratie, nicht die Online-Petition.„.

Nun steht Rudolph mit beiden Beinen fest im 21. Jahrhundert und ein Abgesang auf die Chancen des digitalen Zeitalters liegt ihm gewiss fern. Aber gerade die direkte Diskussion miteinander, die sei auch das Wesen des Ortsvereines. Somit auch das Wesen der Sozialdemokratie. Im direkten Kontakt tritt das leichter zutage als über das Ausfüllen eines digitalen Formulars, das lässt sich nun nicht bestreiten.

„Da kriegse Pipi inne Augen“

Nun ist auch die Rolle des Ortsvereins in der SPD an sich historisch eingeordnet und ergründet. Im Grunde ein guter Punkt für ein stilvolles und ruhiges Ende – aber hier hat man die Rechnung ohne die Putzfrau gemacht. Die Kabarettistin Esther Münch meldet sich nun in ihrer Rolle als Reinigungsfachkraft Waltraud Ehlert zu Wort und setzt zum Rundumschlag an.

Bei so einer Veranstaltung, da habe man ja gar keine Chance, nicht selbst auch rührselig zu werden, so Ehlert. Mit den Liedern und den ganzen Erinnerungen, „da kriegse Pipi inne Augen“, man müsse ja ganz ergriffen und gerührt sein.

Sie schießt aber gleich hinterher, dass man sich nicht zuviel selber feiern und mit alten Lorbeeren schmücken sollte: „Hol mal ein paar Trockenblumen von vor 125 Jahren aus dem Schrank, die krümeln dir weg!“. Besinnen müsse man sich auf gute sozialdemokratische Politik oder auch auf Aufgeschlossenheit gegenüber jungen/ neuen Mitgliedern in Ortsvereinen. Nicht nur solchen mit „Stallgeruch“, wie Ehlert betont.

Späße hat sie auch für die Bundesebene parat – so ergreife Sigmar Gabriel auf Veranstaltungen regelmäßig die Flucht vor ihr, wohingegen „Kohls Mädchen“ Angela Merkel ihrer Meinung nach große Ähnlichkeiten mit den Holzfiguren aus der Augsburger Puppenkiste habe. Ihr Auftritt findet dann nach einer kurzen Umziehpause mit einer kraftvollen Gesangseinlage einen gelungenen Abschluss.

Ein Abschluss nach alter Art

Nun wäre man aber nicht auf einer SPD-Veranstaltung, wenn sie kein Ende nach dem tradierten Muster fände. Ignaz Schneider tritt mit seiner Gitarre erneut nach vorne, die Anwesenden stehen auf, fassen sich an den Händen. Gemeinsam singt man „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“. Beendet gemeinsam die Veranstaltung und tritt wieder hinaus ins Sonnenlicht.

Gemeinsam auf 125 weitere Jahre. Weitermachen!