Der Europatag wird alljährlich am 9. Mai für Frieden und Einheit in Europa begangen.
Er markiert den Jahrestag der Schumann-Erklärung, in der Robert Schumann seine Idee für eine neue Form der politischen Zusammenarbeit im Europa vorstellte, die einen Krieg zwischen den Nationen Europas undenkbar machen sollte.
Die Bewahrung des Friedens war der entscheidende Antrieb für die Gründung der Vorläufer der EU nach dem Krieg und der Befreiung. Nach zwei verheerenden Katastrophen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts war klar, ein erneuter Krieg könnte angesichts der Erfindung der Atombombe der letzte sein. Daher musste der Nationalismus in Europa überwunden werden. Eine Aufgabe, die bis heute unser Engagement erfordert.

Krieg in Europa ist Realität geworden


Und doch: was noch bis vor wenigen Wochen unvorstellbar schien, ist heute Realität.
In Europa ist Krieg. Ein Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, völkerrechtswidrig und durch nichts zu rechtfertigen, ist im Gang. Kriegsverbrechen wie die Angriffe auf zivile Einrichtungen wie Wohnhäuser und Krankenhäuser, die Zerstörung ganzer Stadtviertel und Ermordung zahlreicher Menschen aus der Zivilbevölkerung zeigen die ganze Abscheulichkeit russischen Vorgehens. Dieser Krieg muss so schnell wie möglich beendet werden. Wir stehen an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer. Die Welt ist in großer Gefahr. Es droht eine Eskalation des Schreckens. Ein alles vernichtender Weltkrieg ist so nah wie nie zuvor seit 1945. Und selbst wenn es gelingt, das schlimmste Szenario zu verhindern, ist zu befürchten, dass sich die NATO und Russland in Europa künftig hochgerüstet gegenüberstehen. Ein Kalter Krieg, in dem sich die EU und die USA einerseits Russland und China andererseits gegenüberstehen. Ein Kalter Krieg, der immer an der Grenze zum Heißen Krieg steht.

Das kann niemand wollen! Das können wir auch nicht den nachfolgenden Generationen zumuten.

Dieser Krieg ist das Ergebnis falscher politischer Entscheidungen. Die Hauptverantwortung trägt das Putinregime. Aber es gab nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verpasste Möglichkeiten, Russland in eine europäische Friedensordnung einzubeziehen. Renommierte Politikberater der Regierungen in den USA erklären, dass die NATO-Osterweiterung ein großer strategischer Fehler war. Mit ihrer Friedens- und Entspannungspolitik haben Willy Brandt und Egon Bahr den Grundstein für mehr als 60 Jahre Frieden gelegt. Und sie haben mit ihrer Politik erst die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die ehemaligen staatssozialistischen Länder Osteuropa von der Tyrannei der Sowjetunion befreit wurden. Gorbatschow hätte es ohne Entspannungspolitik nicht gegeben. Auch die deutsche Einheit hätte es nicht ohne die Entspannungspolitik gegeben. Entspannungspolitik heute bedeutet, so schnell wie möglich diesen Krieg zu beenden. Und eine neue Friedensordnung zu schaffen, in der die Staaten nicht mehr gegeneinander Krieg führen können.

Wladimir Putin hat sich verkalkuliert. Nicht nur was den Kriegsverlauf betrifft. Die Ukrainerinnen und Ukrainer leisten militärischen und zivilen Widerstand. Putin muss ansehen, wie die westlichen Staaten geeint wie selten sind. Es ist gut, dass es die EU gibt, um gemeinsam auf diese Herausforderungen reagieren zu können. Mit dieser Geschlossenheit des Westens hat der Kreml nicht gerechnet. Putins Lügengeschichten, dass er einen Krieg führt, um die Ukraine von Nazis zu befreien und um die russische Bevölkerung in der Ukraine vor einem Genozid zu schützen, nimmt ihm keiner in der Welt außerhalb Russlands ab. So hat der ukrainische Präsident Selensky selbst jüdische Wurzeln. Und vor einigen Tagen wurde der 96-jährige Boris Romantschenko, ein Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald, durch einen russischen Bombenangriff in Charkiw getötet. Er engagierte sich für die Erinnerung an die NS-Verbrechen. Als Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora kam er seit den 1990er-Jahren regelmäßig zu Veranstaltungen auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers bei Weimar.

Flüchtlingskrise und Wettrüsten durch Ukraine-Krieg

Sieht so die „Entnazifizierung“ von Herrn Putin aus? Dieser Krieg hat auch zur größten Fluchtbewegung seit dem 2. Weltkrieg geführt. Mehr als 10 Millionen Menschen sind auf der Flucht. 6 Millionen in der Ukraine, 4 Millionen sind in der EU angekommen. Es ist ein großartiges Zeichen der Solidarität, wie die Menschen in Deutschland und in ganz Europa bereit sind, zu helfen. Selbst die polnische Regierung hat seine bisherige flüchtlingsfeindliche Politik aufgeben müssen und mehr als 2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Allerdings muss auch kritisiert werden, dass die polnischen Behörden Flüchtlinge nicht in die EU lassen, die keine Ukrainer sind. Das können wir nicht dulden, die Aufteilung der Flüchtlinge in 1. Klasse und 2. Klasse ist inakzeptabel. Menschenrechte kommen allen Menschen zugute und nicht weil sie eine bestimmte nationale oder ethnische Herkunft haben. Das wichtigste ist jetzt einen Waffenstillstand zu erreichen. Eine weitere Eskalation muss gestoppt werden. Die Diplomatie muss weiter nach Auswegen suchen. Kriege wurden bisher immer mit Verhandlungen beendet.

Ich bin sehr dafür, alles zu tun, um Russland unter Druck zu setzen, damit der Krieg beendet wird. Allerdings sollten wir unsere Maßnahmen genau bedenken. Die NATO darf nicht Kriegspartei werden. Russland würde beispielsweise die Einrichtung einer Flugverbotszone als Kriegserklärung der NATO begreifen. Das muss verhindert werden. Auch die Lieferung von Waffen birgt das Risiko, die NATO schrittweise in den Krieg hineinzuziehen. Mit einem neuen atomaren und konventionellen Rüstungswettlauf dürfen wir uns nicht abfinden. Die Bundeswehr muss als Teil europäischer Sicherheitspolitik ihre Verteidigungsaufgaben wahrnehmen können.

Aber die verkündeten Aufrüstungsmaßnahmen wie die 100 Milliarden Euro Sondervermögen und die Erhöhung der Militärausgaben über die Schwelle von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind sehr diskussionswürdig. Deutschland würde damit in der EU der Staat mit den höchsten Rüstungsausgaben, weltweit mit den dritthöchsten. Deutschland würde allein mehr für Rüstung ausgeben als Russland. Dabei gibt die NATO schon jetzt 15-mal so viel für Rüstung aus wie Russland. Darüber hinaus ist klar, dass die Rüstungsausgaben in Konkurrenz zu den dringenden Aufgaben zur Bekämpfung des Klimawandels und der Pandemie sowie der weltweiten Flucht- und Migrationsbewegung und der sozialen Ungleichheit hier in Deutschland, in Europa und in der Welt stehen würden. Sanktionen sind nötig, um deutlich zu machen, dass dieser Angriffskrieg nicht gebilligt werden kann. Ich bin sehr dafür, dass vor allem die Oligarchen getroffen werden.

Wie könnte ein diplomatischer Ausweg aus dem Krieg aussehen?
Eine Lösung für die Zukunft könnte eine sogenannte gestärkte Neutralität der Ukraine sein. Das hieße u.a. die Ukraine müsste auf eine Mitgliedschaft in der NATO verzichten. Zugleich muss die Souveränität der Ukraine in der Nachkriegszeit gesichert werden. Parallel dazu müsste die Ukraine mit ökonomischer Hilfe vor allem der EU neu aufgebaut und unterstützt werden. Der Ukraine ist eine verlässliche EU- Beitrittsperspektive zu eröffnen. Diese Entwicklung muss natürlich von der Ukraine so gewollt werden.

Besonders für den 9. Mai, den Europatag, gilt die Aussage von Willy Brandt: Frieden ist nicht alles! Aber ohne Frieden ist alles nichts!

Ihr und Euer Dietmar Köster MdEP
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